* Die dreizehnte Fee *


Ihr kennt ja alle die verschlafene Gegend, die man das Oderbruch nennt. Das flache Land, gleich links vom Oderstrom mit seinen übersichtlichen Äckern und Wiesen.
Früher sah das freilich ganz anders aus. Die alte Oder hatte viele kleine Nebenströme und im Frühling und im Herbst gab es Hochwasser. Das Land war sumpfig und mit dunklen Erlenwäldern überwachsen. Die Leute hier waren damals keine Bauern, sondern Fischer. Es gab nur eine Handvoll Fischerdörfer, deren Häuser standen gemütlich im Kreis und guckten aus den kleinen Fenstern auf den Dorfplatz. Den Mist aus den Ställen kippte man hinter die Häuser, das gab einen gehörigen Wall rund um das ganze Dorf. Der war gut gegen das Hochwasser und im Sommer wuchsen darauf prächtige Kürbisse. Die Fischer fuhren mit ihren kleinen Booten hinaus und was, meint ihr, haben sie gefischt? Fische, werdet ihr wohl sagen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Sie fingen Sumpfschildkröten. Davon gab es hier früher so viele, dass die Fischer ganze Wagenladungen auf den Markt in die kleine Stadt Wriezen bringen konnten. Von dem Geld konnten sie sich einen guten Schluck Brandwein kaufen und auch noch ihren Frauen und ihren Kindern etwas Schönes mitbringen.
So klein das Land auch war, es hatte doch einen König und eine Königin. Die wohnten in einem Schloss auf dem Berge Schattenstein, da, wo heute das Königreich Polen anfängt. Die beiden hatten sich überlegt, ihren Untertanen die Steuern zu erlassen, weil das Steuerneintreiben zwischen den unzähligen Flüsschen und Sümpfen zu mühselig war.

Es hätte alles einfach wunderbar sein können.
Aber in den Sümpfen und Erlenwäldern gab es nicht nur Schildkröten und seltsame Wasservögel, sondern auch eine mächtige Zauberin. Diese Zauberin, so erzählten sich jedenfalls die Leute, besaß magische Kräfte und gebot über allerlei Schadenszauber. In den Dörfern wurde sie die Alte Dreizehn genannt. Manche sagten, dieser wunderliche Name käme daher, dass sie eine Tochter des Mondes sei. Und weil der Mond dreizehn Mal im Jahr voll und rund wird und danach wieder ganz dünn, als würde er im Geheimen etwas gebären, habe man sie „Dreizehn“ geheißen. Manche nannten sie auch die dreizehnte Fee, ganz so, als wären da früher noch Zwölf gewesen. Aber von den anderen zwölf Feen hatte niemand je gehört und wenn es sie wirklich gegeben hatte, so waren sie jedenfalls schon vor Zeiten ihrer Wege gegangen.
Das war ein Glück, denn man hatte ja mit der einen schon seine rechte Not.
Vor allem auf die jungen Mädchen hatte die Hexe es abgesehen. Freilich, so lange sie noch kleine Kinder waren, blieben sie verschont. Kaum aber kam eines in sein dreizehntes Jahr, wurde es vom bösen Fluch der Alten getroffen, dass es sich nimmer freuen konnte.
So ein armes Mädchen bekam dann müde Augen, die nicht mehr schauen mochten, einen engen Hals, der nicht mehr singen wollte und einen harten Mund, der zum Küssen nicht taugte.
Den Händen wurde alle Arbeit Mühsal und den Beinen jeder Schritt so schwer, wie Blei.
Das alles machte der böse Fluch der alten Dreizehn.
Es war ein Glück, dass die Frauen in jenem Lande ein starkes Herz hatten und großen Mut.
So konnten sie ein wenig gegen den Fluch ankämpfen. Stolz arbeiteten sie jeden Tag unter großen Mühen, gebaren unter Schmerzen ihre Kinder und manche schafften es sogar, mit schweren Füßen zum Tanze zu gehen.
Die Kunde von dieser Not kam selbst dem Papst zu Ohren und der hatte einen Pfarrer geschickt, der sich die Sache mal ansehen sollte. Dieser Pfarrer, so wird erzählt, wohnte in der kleinen Stadt Lychen und soll sich lange gesträubt haben. Er hatte natürlich Angst vor der Hexe. Alle Pfarrer haben Angst vor Hexen, das ist ganz klar. Aber Papst ist Papst und so musste er doch fahren. Zum Glück war gerade kein Hochwasser, denn es war Sommer. Aber mit seiner Kutsche kam der Pfarrer nicht weit und musste lange mit nassen Füssen stehen und winken, bis ihn ein Fischer mit in sein Dorf nahm.
Der Pfarrer ließ sich alles genau erzählen und schrieb mit seiner Feder in ein kleines Büchlein. Er machte Zeichnungen von den Schildkröten und von den Wasservögeln. Aber er traute sich nicht, die Sümpfe nach der Hexe abzusuchen. Einmal, als er ein wenig über den Durst getrunken hatte, erzählte er mit wichtiger Miene den staunenden Fischern, die Frau im Sumpfe sei keine andere als Adams erste Frau Lillith. Aber am nächsten Tag ließ er sich zu seiner Kutsche bringen und man hatte ihn bald vergessen.

Nun trug es sich zu, dass die Königin ein Kindlein unter ihrem Herzen trug.
Von Sorge getrieben hatte der König den Astrologen befragt und der hatte in den Sternen gesehen, dass es ein Mädchen werden sollte.

Da saß nun das Königspaar in seinem Schloss und wusste sich keinen Rat.
Ach, seufzte die Königin, wenn wir doch nur etwas wüssten, dass unser liebes Kindlein nicht also verwunschen werden muss, wie ich.
Frau, sagte der König zuletzt, lass uns in den alten Büchern suchen, ob wir nicht doch Rat finden können. So gingen sie in die Bibliothek und ließen sich Kerzen bringen.
In einem Buche stand zu lesen, dass die Alte Dreizehn des Morgens die Gestalt eines jungen Mädchens habe, gekleidet in ein Kleid, so weiß wie Schnee. Mittags hätte sie die Gestalt einer jungen Frau, angetan mit einem Kleid, so rot wie Blut. Des Abends aber sei sie ein altes Weib, mit Schlangen im Haar und in ein Kleid gehüllt, so schwarz wie Ebenholz. Dann stand da etwas von einem goldenen Teller, aber die Seiten zerfielen zu Staub, so alt war das Buch und so konnten sie nicht weiter lesen. In einem anderen Buch war die Rede davon, wie frühere Könige schon versucht hatten, die Plage zu bannen.
Einer hatte ein Gesetz erlassen, das jegliche Hexerei bei Todesstrafe verbot. Viele unschuldige Frauen waren damals verbrannt worden, aber die Dreizehn hatte man nicht gefasst. Einmal war die Rede davon, wie ein junger König das Nachbarland überfallen hatte, auf der Suche nach einem goldenen Teller.
Bald gab es nur noch gelehrte Bücher, die in der alten Sprache Latein geschrieben waren.
Die konnte nur der alte Astrologe lesen und der Königin wurde darüber langweilig.
So ging sie in die Küche, um ein wenig mit der Köchin zu plaudern.
Die Königin erzählte der Köchin, was sie erfahren hatte, von den drei Gestalten der Alten Dreizehn und dass es mit einem goldenen Teller irgendeine Bewandnis haben müsse.
Da kramte die Köchin nachdenklich in ihren Kochbüchern und zog zuletzt ein wunderliches Buch hervor. Das hatte einen hölzernen Deckel, in den Gesichter geschnitten waren, die sich beim flackernden Schein des Herdfeuers bewegten, als ob sie Grimassen schnitten.
Es hatte dreizehn Seiten aus Schlangenleder. Die Seiten waren beschrieben mit den merkwürdigsten Zeichen. Dieses Buch habe ich von meiner Urgrossmutter, sagte die Köchin, ich glaube, es ist ein Kochbuch. Ich kann es zwar nicht lesen, aber wenn ich manchmal bei einem schwierigen Gericht einen Rat brauche, blättere ich ein bisschen darin und dann weiß ich mir zu helfen.
Die Königin blätterte nachdenklich in dem Buch und betrachtete die seltsamen Zeichen. Auch sie konnte nichts entziffern und dennoch erschien ihr die Schrift vertraut und rührte an ihr Herz.
Auf der letzten Seite entdeckte sie ein Bild, darauf sah man die dreizehnte Fee. Mit einem goldenen Teller in der Hand stand sie zwischen zwei Erlenbäumen und vor ihr kniete ein junges Mädchen.
Die Fee sah freundlich aus, gerade so, als wolle sie das junge Mädchen segnen.
Die Königin dachte an die alte Chronik von dem König, der Krieg geführte hatte, weil er auf der Suche nach einem goldenen Teller war.
Nun verstehe ich, sagte sie. Einen goldenen Teller muss man der Alten Dreizehn schenken, dann wird man von ihrem Fluch verschont. Ach, wenn wir doch nur einen goldenen Teller hätten, ich wollte ihn ihr wohl bringen und sie bitten, mein Kind zu verschonen.
Traurig und müde legte die Königin sich schlafen.
In der Nacht träumte ihr von einem Weg, der sie sicher durch den Sumpf führte, bis zum Häuschen der alten Dreizehn. Die trat heraus und hatte sie die Gestalt eines alten Weibes mit einem schwarzen Kleid. Aus ihren Haaren steckten Schlangen ihre Köpfe hervor.
Und vor lauter Angst wachte die Königin auf.
Leise, um ihren Mann nicht zu wecken, stand sie auf. Sie warf einen Mantel über und ging in die Küche.
Das seltsame Buch lag noch auf dem Tisch, die Königin nahm es in die Hand und blätterte darin. Es war, als ob all die seltsamen Schriftzeichen ihr Mut machten, auch die seltsamen Gestalten auf dem Decken nickten ihr freundlich zu.
So sprach die Königin zuletzt zu sich selbst: „Auch wenn ich keinen goldenen Teller habe, ich will es doch wagen und die Alte dreizehn um Gnade bitten für mein Kind.“
So eilte sie die Treppen herunter und über den Burghof.
Im Schein des Mondes sah sie die schlafenden Wachen und schlich sich an ihnen vorbei in´ s Freie.
Mit klopfendem Herzen näherte sie sich dem Erlenmoor. Schon am Tage war es dort nicht geheuer. Wie leicht konnte man des Nachts vom Wege abkommen und im schwarzen Wasser ertrinken.
Bald schon sah die Königin die ersten dunklen alten Bäume und konnte hören, wie es im Sumpf gluckste.
Aber sie ließ sich nicht erschrecken. Ihre goldenen Schuhe taugten hier nicht, sie stellte sie in die Wiese und lief mit bloßen Füssen weiter. Erst versank sie bis zu den Knöcheln, dann bis zu den Knien. Schon war sie bis zur Hüfte versunken und der Mut wollte ihr sinken. Da bewegte sich plötzlich das Buch, das sie unter dem Arm hielt, es klappte auf und eine kleine Kröte hüpfte heraus, die in der Dunkelheit glänzte und leuchtete wie ein goldener Kronenthaler.
Diese Kröte sprang flink auf einen umgefallenen Baumstamm, der im Dunkel nicht zu sehen gewesen war.
Da hinauf konnte sich die Frau retten. Die Kröte sprang auf eine Grasinsel, saß dort leuchtend bis die Königin ihr folgte und so ging es fort bis die Bäume zurückwichen und den Blick auf eine Lichtung freigaben. Da stand im Mondlicht ein kleines Häuschen und davor saß auf einer Bank eine alte Frau. Die goldene Kröte sprang der Alten mit einem Satz auf die Schulter. Im Lichte der Goldkröte sah die Königin, wie sich Schlangen in den Haaren der Frau wanden.
Die junge Königin nahm ihren ganzen Mut zusammen und trat einen Schritt auf die Alte zu. Ganz so, als wäre nicht sie, sondern die wunderliche Frau die Königin, verneigte sie sich bis zum Boden.
Ohne ein Wort zu sprechen, hob die Alte sie auf und nahm sie in ihre Arme.
Lange blieb es ganz still, bis die Morgensonne über die Bäume stieg.
Im hellen Sonnenschein sah die Königin, dass neben ihr ein junges Mädchen saß, angetan mit einem weißen Kleid. Die Kröte war verschwunden und auch von den Schlangen war nichts mehr zu sehen.
„Ich habe keinen goldenen Teller“, sagte leise die Königin.
Ich weiß, sagte das weiße Mädchen. Komm!
Im Haus gab es eine Kammer, das Mädchen mit dem weißen Kleid öffnete die Tür und dahinter lagen goldene Teller, so viele, dass man sie nicht zählen konnte.
Schau, sagte die dreizehnte Fee: „Das hier ist der goldene Teller, den deine Mutter hätte haben sollen. Sie hat ihn nicht abgeholt. Der hier war für deine Großmutter.
Aber der hier ist für dich.“ Damit nahm die Fee einen Teller und gab ihn der Königin.
„Aber“, sagte die, „ich wollte dich doch für meine Tochter bitten…“
„Die bekommt diesen Teller hier“, sagte die Fee. „Schau, er liegt schon bereit. Aber erst, wenn sie dreizehn geworden ist, darf sie ihn haben Und jetzt gehen wir in den Garten!“
Die Fee trug mittlerweile ein rotes Kleid und hatte die Gestalt einer jungen Frau.
Die beiden gingen in den Garten und die Fee pflückte allerlei Kräuter, Äpfel und andere Früchte und legte sie der Königin auf ihren goldenen Teller.
Dabei sprach sie: „Lege diese Kräutlein unter dein Kissen, wenn du dein Kind auf die Welt bringst.“ Oder: „Diese Früchte geben einer Suppe besondere Kraft.“
Dann zog sie noch einige leuchtende Steine und Schneckenhäuser aus ihrer Tasche und zuletzt noch ein Büchlein, ganz wie das der alten Köchin. Das sollst du auch haben, sagte die Fee und ich will es dir auch gleich einmal vorlesen.
So saßen die beiden im grünen Gras, die Fee kannte all die wunderlichen Zeichen und die Königin erfuhr viele Dinge, von denen sie noch nie gehört hatte, gleichwohl sie doch alle wichtig und nützlich waren. „Jetzt musst du gehen“, sagte zuletzt die Fee, „sonst musst du den Weg wieder im Dunkeln finden.“ Da verneigte sich die Königin noch einmal und ging mit ihrem Tellerchen den Weg zurück. Das Laufen fiel ihr seltsam leicht und das Herz hüpfte in ihrer Brust. Auch fand sie einen bequemen Weg durch den Sumpf, der sie geradewegs nach Hause führte. Der König war schon in großer Sorge gewesen und hatte nicht anders gemeint, als dass seine liebe Frau in´ s Wasser gegangen wäre.
Die Königin küsste ihn, so wie sie ihn noch nie geküsst hatte und rannte in die Küche, um alles der Köchin zu erzählen. Die Köchin freute sich mit ihr und sagte: Gleich morgen früh will ich auch losgehen und mir meinen goldenen Teller holen!
Ja, sagte die Königin, am Tage ist der Weg doch viel angenehmer.
Kaum war die Sonne aufgegangen, waren auch schon einige Frauen aus den Fischerdörfern unterwegs. Als sie mit goldenen Tellern zurückkamen, gab es kein Halten mehr: alle Frauen machten sich auf, Junge wie Alte, und die nicht mehr laufen konnten, wurden getragen. Bald kamen sie zurück, eine jede mit einem goldenen Teller voller guter Gaben. Seitdem war das Land von dem Fluche befreit, wenn es denn einer gewesen war. Es gab ein großes Fest mit Schildkrötensuppe und Branntwein und die Frauen tanzten so leichtfüßig und scherzten mit so flinker Zunge, dass die Männer kaum mithalten konnten.
Die Königin aber gebar ein Mädchen, das ward Dornröschen geheißen.
Und an seinem dreizehnten Jahr zeigte ihr die Königin den Weg durch den dunklen Wald und das Mädchen ging sich seinen goldenen Teller holen.

Wie es weiterging, weiß ich nicht so genau. Es kam ja der kleine König Friedrich und wollte den Sumpf trockenlegen. Aber ich glaube, auch er hat die alte Dreizehn nicht vertrieben, denn es gibt hier immer noch Frauen mit so glänzenden Augen, so roten Lippen und solch flinken Füssen, dass ich gewiss meine, die haben alle ihren goldenen Teller zu Hause.