Es war einmal ein junger Fischer, der hatte auf der Welt nur ein altes
Boot und ein paar Netze. Tags fuhr er darin über das Meer, des Nachts
schob er es auf den Strand, drehte es um und schlief darunter. Als er
eines Morgens zum Fischen hinaus fahren wollte, sah er im flachen Wasser
ein junges Mädchen, das mit einem kurzen Messer Muscheln von den
Steinen brach und in ein Krüglein sammelte. Als der Fischer mit seinem
Boot vorüber fuhr, drehte sie sich um. Da sah er ihre wunderschönen
Augen, die so grün und so tief waren, wie das Meer. Das Mädchen
schaute dem Fischer eine Weile dabei zu, wie er kraftvoll und geschickt
mit seinem kleinen Boot den großen Wellen auswich. Wie zufällig
trafen die Beiden sich nun jeden Morgen am Strand. Eines Tages aber ließ
der Fischer sein Boot einfach am Strand liegen und lief durch das flache
Wasser, bis er vor dem Mädchen stand. Da lachte sie, nahm seinen
Kopf in ihre schmalen Hände und küsste ihn. Den ganzen Tag lagen
die beiden zusammen am Strand in de warmen Sonne und hatten viel zu bereden.
Das Mädchen hatte keine Eltern mehr, nur eine Großmutter. Bei
dieser Großmutter hielt der Fischer um die Hand des Mädchens
an. Die alte Frau konnte schlecht sehen, deshalb betastete sie seine Oberarme,
um herauszufinden, ob er auch gut zupacken könne. „Hast du
denn ein Haus, in dem ihr beide leben könnt?“ fragte sie ihn
zum Schluss der Untersuchung.
So kam es, dass der Fischer schon am nächsten Tag begann, ein Häuschen
hinter den Dünen zu bauen. Die Wände aus Planken von gesunkenen
Schiffen, die ihm die Wellen an den Strand geworfen hatten. Das Dach deckte
er mit Schilf, das fast bis zur Erde hing.
In dieses Häuschen zogen der Fischer und das Mädchen ein, um
miteinander glücklich zu sein.
Die junge Frau war nicht nur schön, sondern auch fleißig. Schon
bald nach der Hochzeit sah man sie mit der Hacke hinter das Haus ziehen.
Drei Radieschenkörner hatte sie von ihrer Großmutter als Mitgift
bekommen, die sollten nun in die Erde.
Dann erbat sie sich bei ihrem Mann einen großen Fisch, den schlug
sie in ein Tuch und tauschte ihn auf dem Markt gegen ein paar Kartoffeln,
Erdbeerpflanzen und Samen für Kohlrabi und mancherlei Kräuter.
Bald hatte sie einen prächtigen Garten. Darin wuchs herrliches Obst
und feines Gemüse. Kleine Vögel stellten sich ein und bunte
Schmetterlinge gaukelten träge über die Blüten. Wenn der
Fischer abends aus seinem Kahn stieg, kam ihm seine Frau schon entgegengelaufen
und gab ihm einen Kuss. Auf dem Tisch standen frische Blumen und auf dem
Herd dampften die Kartoffeln. Von allen Gewächsen aus dem Garten
seiner Liebsten mochte der Fischer am meisten die feuerroten Radieschen.
Zwar waren sie sehr klein, aber so scharf und frech, dass einem die Tränen
in die Augen traten, wenn man hinein biss.
Der Fischer brachte jeden Abend einen schönen Fisch für die
Pfanne mit und so ließen die beiden es sich wohl sein.
Doch bald schon sollte ihr Geschick sich wenden. Es kam nämlich eine
Dürre über das Land, seit Monaten hatte es nicht geregnet und
was im Garten so schön gewachsen war, musste wieder verdorren.
Die Frau schleppte jeden Tag viele Eimer Wasser vom Brunnen in den Garten,
aber es half nichts. Das Einzige, was übrig blieb, waren die kleinen
Radieschen, weder Sonne noch Trockenheit konnten ihnen etwas anhaben.
Klein waren sie immer noch, aber sie blieben feuerrot und frech und scharf.
Auch der Fischer hatte nun weniger Glück. Oft genug zog er seine
Netze leer aus dem Wasser.
In diese Not hinein wurde den beiden ein Kind geboren, ein kleines Mädchen.
Aber auch damit war es nicht recht bestellt, denn es wollte und wollte
nicht sprechen, so dass die beiden am Ende einsehen mussten, dass es stumm
war.
Die Frau schämte sich, dass all ihre Mühe im Garten nichts einbrachte
als ein paar winzige Radieschen. Um sich davon abzulenken, fing sie an,
mit ihrem Manne zu schelten. Bald schon konnte er ihr nichts mehr recht
machen. Kam er ohne Fang nach Hause, keifte sie: „Sollen wir jämmerlich
verhungern, du Taugenichts?“ Brachte er ein paar kleine Fischlein,
murmelte sie vor sich hin: „Mehr Gräten als Fisch, mehr Mühe
als Suppe…“ und manchmal sprach sie zu ihrer Tochter: „Hätt´
ich den da nicht genommen, müsst´ ich jetzt nicht in dieser
elenden Hütte sitzen.“ Das Mädchen aber guckte nur traurig
und schwieg.
Der Fischer schwieg auch, denn er wusste nichts zu sagen zu den Vorwürfen
seiner Frau. Er glaubte ja schon selber, dass er ein Taugenichts sei.
In seiner Not versuchte er, ein gleichgültiges Gesicht zu machen
und hoffte, dass seine Frau wieder aufhören würde mit dem Geschimpfe.
Aber dass er immer nur schwieg, ärgerte sie nur noch mehr, so dass
sie erst recht mit ihm zankte.
In aller Früh ging er mit den Netzen aus dem Haus und plagte sich
redlich mit den Rudern und den schweren Netzen. „Ich muss etwas
Großes fangen“, dachte er, „einen ganz großen
Fisch, damit wieder Frieden einzieht ins Haus.“ Aber es half nichts.
Tag für Tag kam er mit kleinen Fischlein nach Hause und oft genug
auch mit leeren Händen.
Seine Frau glaubte mittlerweile, er habe irgendwo noch eine andere Frau.
Er war ja auch kaum noch zu Hause, verschwand im Morgengrauen und kam
spät in der Nacht wieder. Diese Andere hatte wahrscheinlich einen
blühenden Garten, mit schweren süßen Früchten darin.
Da trug er wohl die großen Fische hin. Wie gerne hätte sie
für ihren Mann auch einmal ein paar Pfirsiche gepflückt oder
ihm eine saftige Melone aufgeschnitten. Es war zum weinen, trotz aller
Plage wuchsen im Garten nur die kleinen Radieschen.
Aber sie ließ sich nichts anmerken von ihrer Traurigkeit, sondern
machte ihm erst recht das Leben zur Hölle.
Das stumme Mädchen hätte gerne alles getan, um seinen Eltern
zu helfen. Morgens ging es mit der Mutter in den Garten, um ihr beim Wassertragen
zu helfen. Am späten Nachmittag saß es stumm am Strand um auf
den Vater zu warten. Abends, wenn die beiden Großen in der Stube
saßen und sich anschauten wie Fremde, machte sich das Mädchen
im Schatten des Ofens ganz klein.
Nun trug es sich zu, dass der Fischer wieder einmal nur ein einziges,
kleines Fischlein gefangen hatte. In seiner Verzweiflung setzte er das
Fischlein in einen Kasten mit Wasser, legte sich einfach noch ein bisschen
in sein Boot und ließ sich von den Wellen schaukeln.
Zur gleichen Zeit stellte hinter dem Häuschen die Frau ihre schweren
Eimer ab und dachte: Ich bin eine arme Frau. In meinem Garten wächst
nichts, was die ganze Mühe wert wäre. Ich habe nichts, was ich
mit einem Mann teilen könnte. Kein Wunder, dass er nicht mit mir
sprechen mag und mich immer nur anschweigt. Ihre Tochter stellte auch
die Eimer ab und spielte mit einem kleinen Radieschen.
Ich bin ein armer Fischer, dachte inzwischen der Fischer. Ich habe nichts,
was ich mit einer Frau teilen könnte. Kein Wunder, dass sie mit mir
böse ist. Er setzte sich wieder auf in seinem Boot und schaute das
kleine Fischlein an. „Ach Fischlein“ sagte er, „Warum
geht das nicht, dass ich nichts habe und nichts bin und trotzdem ein bisschen
glücklich sein darf mit meiner Frau und meinem Kind. Warum können
wir uns in diesem Leben nicht einfach gegenseitig beistehen?“ Der
Fischer seufzte und der Fisch schwieg. „Wenn du wüsstest, wie
schön meine Frau ist und was sie für herrliche Radieschen in
ihrem Garten hat“ sagte der Fischer und fügte hinzu: „Rot
sind sie und frech und beißen dich in die Zunge. Sie sind mir die
liebste Speise auf der Welt.“ „Radieschen?“ fragte das
Fischlein, „Bei der Dürre?“ „Ja“, sagte der
Mann stolz, „Den ganzen Tag schleppt sie Wasser in den Garten.“
Der kleine Fisch sagte: „Wenn du mich freilässt, verrate ich
dir, was du tun musst.“ „Ach Fischlein“, sagte der Fischer,
„was kannst du mir schon helfen.“ Er hob es aber trotzdem
aus dem Kasten und setzte es wieder in´ s Meer, denn es war gerade
so groß wie sein Daumen und sowieso zu klein für den Kochtopf.
Der Fisch steckte noch einmal seinen Kopf aus dem Wasser und sagte: „Geh
nach Hause und erzähle deiner Frau, was du mir erzählt hast.
Dann wirst du dein Glück machen.“
„Ebenso gut könnte ich in den Brunnen sprechen“, dachte
der Fischer. Er zog sein Boot auf den Strand und trottete langsam nach
Hause.
Als er die Tür aufmachte, saß in der Stube nur seine stumme
Tochter. Erst war er erleichtert, dass niemand da war, der mit ihm schimpfen
wollte. Aber nach einer Weile ging er doch in den Garten, um nach seiner
Frau zu sehen. Da fand er sie, sie hatte sich auf einen Eimer gesetzt,
den Kopf in die Hände gestützt und weinte. Der Fischer setzte
sich einfach daneben und weinte auch. Nach einer Weile hob die Frau den
Kopf, sah ihn an und staunte über ihren weinenden Mann. Ach Frau,
sagte der und dachte an das Fischlein. Ich bin ein armer Fischer und hab
nicht viel. Können wir uns nicht einfach deine kleinen Radieschen
und meine Fischlein teilen? Ich wäre so gerne mit dir ein bisschen
glücklich.“ „Wirklich?“ fragte die Frau leise.
„Ich dachte, du willst mich gerne los sein.“ Der Fischer entgegnete:
„Ich dachte auch, du wärst gerne bei einem besseren Mann mit
einem schöneren Haus!“
Da nahm sie wie damals seinen Kopf in ihre Hände und küsste
ihn. Dann standen sie lange im Garten, hielten einander bei den Händen
und weinten. Später, als es langsam anfing zu nieseln, fassten sie
sich bei den Händen und tanzten herum.
Schließlich, als das Wasser schon in Strömen vom Himmel auf
die vertrocknete Erde fiel, rannten sie atemlos in´ s Haus. Da saß
in der Stube die kleine Tochter, schaute sich ihre Eltern an und sprach,
als wäre sie nie stumm gewesen: „Schön, dass es endlich
regnet!“
Da standen alle drei und es war, als sähen sie sich zum ersten Mal.
Der Rest ist schnell erzählt. Im Garten wuchsen bald wieder allerlei
Gemüse, Erdbeeren und Kräuter. Die Fischersfrau ging mit ihrer
Tochter zum Markt. Mit ihren Radieschen hatte sie sich nie hingetraut.
Aber siehe da, gerade die verkauften sich am besten.
Auch der Fischer hatte wieder Glück und fing prächtige Fische.
Und wenn er einmal traurig war oder nichts gefangen hatte oder wenn der
Garten wieder trocken werden wollte, dann ging er zu seiner Frau. Dann
schauten sie sich einfach an und nahmen einander in die Arme. Manchmal
weinten sie zusammen. Aber dann aßen sie jeder ein Radieschen und
gingen mit ihrer Tochter am Strand spazieren. Die Großmutter hörte
die drei manchmal von weitem lachen und singen und freute sich über
die fröhlichen jungen Leute.
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